Seit 48 Jahren besteht die Abteilung Karten der ETH-Bibliothek, mehr als 41 davon wurden von Markus geprägt. Was für uns, die Gruppe Rara und Karten, unvorstellbar war, wird bald Realität sein: Markus Appenzeller wird die ETH-Bibliothek Ende März verlassen, um in den wohlverdienten Ruhestand zu treten. Aber wir wollen ihn nicht einfach so gehen lassen:
Du warst unglaubliche 41,5 Jahre an der ETH-Bibliothek bei den Karten tätig. Wie hat sich in dieser Zeit die Bibliotheks- und Kartenwelt aus Deiner Sicht verändert?
Als ich Ende der Siebzigerjahre meine Ausbildung zum Bibliothekar begann, hatte sich die ETH-Bibliothek bereits von den traditionellen Zettelkatalogen verabschiedet. Im Grossraumbüro der Katalogisierungsabteilung schrieben wir mit IBM-Kugelkopfschreibmaschinen die Titelaufnahmen auf grossformatige Papierbögen. Das Geräusch der Schreibmaschinen habe ich heute noch in den Ohren. Pünktlich um 10 Uhr wurden die Fenster im Grossraumbüro geöffnet und wer wollte, konnte sich unter Anleitung einige Minuten lang körperlich ertüchtigen. Dann wurde wieder mit frischem Geist und Körper weitergearbeitet. Ein Team von erfahrenen Bibliothekarinnen korrigierte jede Titelaufnahme und versah die einzelnen Elemente mit Feldnummern. In der sogenannten Produktionsabteilung wurden anschliessend die Daten digitalisiert, indem sie auf Lochstreifen übertragen wurden. Am Ende entstanden dann die Mikrofichenkataloge, die man mit Lesegeräten konsultieren konnte. Im Laufe der Jahre habe ich alle Weiterentwicklungen der Kataloge erlebt, bis hin zum heutigen Suchportal.
Heute fällt es mir schwer, die Bibliothek als Ganzes zu begreifen. Viele Tätigkeiten haben mit der traditionellen Bibliotheksarbeit nichts mehr zu tun. Ich war verwundert, als eine Marketingabteilung entstand, heute weiss ich immerhin was Marketing bedeutet und habe eine Ahnung, was in unserer Marketingabteilung geleistet wird. Ich war auch erstaunt, dass eine Abteilung entstand, die sich mit dem digitalen Datenerhalt beschäftigt, ich hatte das Gefühl, diese Arbeit sei für Spezialisten, weit weg von der Bibliothekswelt.
Mein ganzes Arbeitsleben habe ich in der Kartensammlung verbracht. Lange Zeit empfand ich die Kartensammlung als kleine Bibliothek in der grossen Bibliothek. Mir hat gefallen, dass alle Arbeiten in der Sammlung erledigt werden können (Karten bestellen, katalogisieren, Arbeiten im Magazin, Kontakt mit Benutzern).
Gibt es Ereignisse an der ETH-Bibliothek, die Dich besonders geprägt haben?
Ende der Neunzigerjahre hielt in der Bibliothek der Personal Computer Einzug. Obwohl ich vorwiegend mit dem internen Bibliothekssystem arbeitete, war ich froh, dass ich durch eine externe Ausbildung die Microsoft Welt kennenlernen konnte.
Ein wichtiges Ereignis in der Kartensammlung war die Einführung von TOPORAMA in der Kartensammlung. Früher wurden die einzelnen Blätter eines Kartenwerkes von Hand in ein Übersichtsnetz eingezeichnet. Daraufhin wurden diese Übersichtnetze in ein GIS-Programm übertragen und die Kartenbestände konnten von den Benutzern am PC eingesehen werden, und wir Kartenbibliothekare konnten neue Ausgaben von Karten direkt am PC eingeben. Das Programm war allerdings nicht internetfähig. Unterdessen ist TOPORAMA abgelöst worden von www.kartenportal.ch eine Internetsuche nach Karten mit einer geographischen Suchoberfläche.
Was war die aufwändigste Karte (der schwierigste Fall), die Du katalogisiert hast und hast Du eine Lieblingskarte im Bestand der ETH-Bibliothek?
Ich erinnere mich an eine detaillierte osteuropäische Eisenbahnkarte aus dem 19. Jahrhundert, die aus zahlreichen Blättern besteht. Ich konnte die einzelnen Blätter nicht zu einer Karte zusammensetzen. Erschwerend kam dazu, dass die deutschen Ortsnamen auf der Karte heute in den osteuropäischen Gebieten nicht mehr gebraucht werden. Mir ist es dann gelungen, auf dem Boden des Lesesaals die Karte richtig zusammenzusetzen. Der Platzbedarf für die Karte war ca. 12 Quadratmeter. Ich habe die ganze Auslegeordnung noch fotografiert und später einen Blogbeitrag auf ETHeritage daraus gemacht.
Am liebsten hatte ich immer die Neuausgaben der Schweizerischen Landeskarten, die ich mehrmals pro Jahr katalogisiert habe. Ihre Genauigkeit, ihre gute Lesbarkeit und die Darstellung des Geländes haben mich fasziniert.
Was wird Dir nach der Pensionierung fehlen, und worauf freust Du Dich am meisten?
Am meisten werden mir die regelmässigen Kontakte zum Kartenteam und dem Team Alte und Seltene Drucke fehlen. Aber auch die gesamte Bibliothek und die ETH als Ganzes sind mir sehr ans Herz gewachsen.
In meiner Pensionierungszeit werde ich mich immer wieder über Landkarten beugen und in Gedanken Wanderungen und Velotouren vorbereiten. Die eine oder andere Tour werde ich dann wirklich machen, manchmal allein, manchmal mit meiner Frau und Freunden, aber immer mit der richtigen und besten Landkarte im Rucksack.
Als Berufspendler hatte ich immer Zeit, im Zug zu lesen, diese Zeit muss ich mir jetzt bewusst nehmen. Ich habe mir vorgenommen, die grossen Gesellschaftsromane aus dem 19. Jahrhundert zu lesen, beginnen will ich mit «David Copperfield» von Charles Dickens.
Jedes zweite Wochenende und in den Ferien lebt unsere Enkeltochter Ayana bei uns. Seit ihrer Geburt haben wir eine gute und enge Beziehung zu ihr. Wir hoffen, dass wir sie noch lange auf ihrem Lebensweg begleiten können.
Deine freundliche ruhige Art, aber auch Dein akkurates Feedback werden wir sehr vermissen. Herzlichen Dank dafür!
Wir wünschen Dir, lieber Markus, alles Gute und hoffen, mit Dir in Kontakt bleiben zu können.