Wie finde ich die Bibliothek, wenn ich kaum etwas sehen kann? Wie komme ich im Rollstuhl über Rampen, Lifte und Baustellen ins Hauptgebäude? Und wie fühlt es sich generell an, sich mit einer Behinderung an der ETH fortzubewegen? Antworten auf diese und ähnliche Fragen wurden in vier sogenannten Sensibilisierungsworkshops zum Thema «Umgang mit Menschen mit Behinderungen» gegeben, die im Rahmen des Teilprojekts 14 «Barrierefreie Bibliotheksmedien anbieten» im Mai und Juni 2022 in Zusammenarbeit mit dem Verein Sensability angeboten wurden. Rund 50 Mitarbeiter:rinnen der Bibliotheken der ETH Zürich, die vorwiegend in den öffentlichen Kundenbereichen tätig sind, erhielten dadurch viele interessante Einblicke und sammelten neue Erfahrungen.
Ziele und Themen
Ziel der Workshops war es, die Mitarbeiter:innen für den Umgang mit Menschen mit Behinderungen zu sensibilisieren und ihnen die wichtigsten Bedürfnisse und Hindernisse von Menschen mit Behinderungen im Hochschulkontext näher zu bringen.
Da die Workshops von Mitarbeiter:rinnen des Vereins Sensability gestaltet und geführt wurden, die selbst behindert und daher im elektrischen Rollstuhl oder mit weissem Stock und Blindenführhund unterwegs sind, lag der Fokus klar auf Mobilitäts- und Sehbehinderungen. Daneben wurden aber auch Hörbehinderungen und psychische Behinderungen thematisiert. Der Fokus lag also auf vier grossen Behinderungsgruppen.
Theorie und Grundlagen
Im Theorieteil wurde zuerst Wissen über grundlegende Begriffe, rechtliche Grundlagen, Behinderungsarten bis hin zu Prozessen zu einer «hindernisfreien Bibliothek» nähergebracht.
Hier wurde sehr gut vermittelt, dass jede Art von Behinderung gewisse Bedürfnisse, aber auch Hindernisse (in einer Bibliothek) mit sich bringt. Im Idealfall sollte unsere Umwelt also so eingerichtet sein, dass es für keine Menschen Hindernisse gibt. Das bedeutet konkret, dass Barrieren abgebaut (bauliche, technische, geistige usw.), andere Zugänge geschaffen werden (akustisch, taktil usw.) und Informationen (Website, Lehrmittel usw.) auch für Menschen mit Behinderungen zugänglich sein sollten. Zusätzlich können aber auch immer individuelle Lösungen angeboten werden.
Perspektivenwechsel
Im zweiten Teil des Programms – dem sogenannten Perspektivenwechsel – wurden alle Teilnehmer:innen jeweils in zwei kleinen Gruppen aktiv miteinbezogen. Einerseits waren sie mit einer simulierten Gehbehinderung im Rollstuhl an der ETH unterwegs. Und andererseits versuchten sie sich mit einer Dunkelbrille/Simulationsbrille und weissem Stock im Hauptgebäude zurecht zu finden. So konnten sie für kurze Zeit selbst erleben, was es bedeutet und wie es sich anfühlt, sich mit einer Mobilitäts- und Sehbehinderungen in einem vermeintlich gewohnten Umfeld zu bewegen oder Menschen mit Behinderungen zu begleiten.
Reflexion/Diskussion und konkrete Handlungsanweisungen
Die Rückmeldungen der Teilnehmer:innen waren zum grössten Teil sehr positiv. Besonders beeindruckt waren sie vom praktischen Teil im Perspektivenwechsel. Dort wurde den meisten auf eindrückliche Weise gezeigt und auch ein Stück weit die Augen (und Sinne) dafür geöffnet, dass gewisse Hindernisse sich oftmals nur aus Sicht der «Betroffenen» erkennen lassen und vorher gar nicht als solche identifiziert werden.
Und was konnte aus den Workshops für den Alltag in der Bibliothek mitgenommen werden?
So sollten wichtige Informationen wie z. B. wo sich das nächste Behinderten WC befindet, oder wie man als behinderte Person in die Bibliothek kommt, schnell auffindbar sein, sowohl für Kunden und Kundinnen als auch Bibliotheksmitarbeiter:innen selbst (Website, Merkblätter etc.).
Es wurde auch die simple Frage gestellt, ob Menschen mit Behinderungen mit Anspruch auf einen Nachteilsausgleich ggf. von den Gebühren für den Postversand befreit werden können.
Auch bei der Planung von Veranstaltungen, baulichen Massnahmen usw. sollte immer ein «Konzept der Barrierefreiheit» aufgestellt werden. Ein simples Beispiel dafür sind Apéros mit Stehtischen. Dort ist es z. B. für Rollstuhlfahrer:innen aufgrund der Höhe unmöglich, sich an den Tisch auf Augenhöhe dazuzugesellen.
Alles in allem konnten nur vereinzelt Punkte und diese auch nur ansatzweise besprochen werden. Jedoch können viele Dinge einfach umgesetzt werden und somit einen ersten Anfang bilden, um unser alltägliches Umfeld barrierefreier zu gestalten.
Gut zu wissen
Im Rahmen der Aktionstage UNO-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) an der ETH Zürich im Herbst werden weitere Sensibilisierungsworkshops «Perspektivenwechsel» vom Gesamtprojekt «Hindernisfreiheit an der ETH Zürich» angeboten. Mehr Informationen und die Links zur Anmeldung findet Ihr auf der Website ethz.ch/aktionstage-brk.
Habt Ihr die Workshops im Mai/Juni verpasst? Oder könnt Ihr an den nächsten Workshops nicht teilnehmen, die im Herbst von der ETH angeboten werden? Dann schaut zum Nachlesen in die beiden Lektüren Hindernisfreie Bibliotheken an der ETH und Teilprojekt 14 – Barrierefreie Bibliotheksmedien anbieten rein.
Wenn Ihr Interesse an zusätzlichen bibliotheksinternen Workshops habt, teilt uns dies bitte per E-Mail mit.
Die ETH-Bibliothek leistet mit dem Teilprojekt 14 «Barrierefreie Bibliotheksmedien anbieten» (TP 14) unter der Leitung von Merja Hoppe (FDL) und André Reichmuth (Betriebsmanagement) einen Beitrag zum ETH-Projekt «Hindernisfreiheit an der ETH Zürich». Ziel des Projekts ist es, weitestgehend allen Menschen, ob mit oder ohne Behinderungen oder besonderen Bedürfnissen, einen Zugang zu den Leistungen der ETH Zürich zu ermöglichen. Das TP 14 läuft unter der Kategorie «Technologie, Kommunikation und Lehre». Es soll Fachwissen hinsichtlich barrierefreier Bibliotheksmedien auf- und ausgebaut werden, um entsprechende Richtlinien erarbeiten zu können, die bei der Beschaffung neuer Medien hinzugezogen werden sollen. Zusätzlich soll ein Schulungskonzept zur Sensibilisierung der Mitarbeitenden in der Benutzung erstellt werden.