Dieser Frage sind die Sektionen Innovation, Marketing & Communities (IMC) und Sammlungen und Archive (SAR) 2019 im Rahmen der Scientifica und der Europäischen Tage des Denkmals nachgegangen. Die dabei aufgebaute Expertise soll nun der ETH-Bibliothek als Ganzes bei der Konzipierung weiterer Anwendungen zugutekommen.
Augmented und Virtual Reality kurz erklärt
- Bei Augmented Reality (AR) wird die physische Realität um einen digitalen Layer –z.B. in Form von 3D-Objekten – angereichert. So nimmt der Nuter die reale Umgebung und virtuelle Einblendungen gleichzeitig wahr. Endgeräte für die Nutzung von AR-Anwendung sind Smartphones, Tablets oder die Microsoft Hololens.
- Bei Virtual Reality (VR) befinden sich die Nutzerinnen und Nutzer in einer komplett virtuellen Welt. Dabei reicht die Spanne von Low-Level-Anwendungen wie 360°-Panoramen bis hin zu komplexen VR-Applikationen, bei denen sich die User aktiv im virtuellen Raum bewegen können. Im Bereich komplexer VR-Brillen sind die HTC Vive oder die Oculus Rift bekannt, mobile Standalone-Brillen wie die Oculus Quest etablieren sich aber immer mehr.
AR-/VR-Anwendungen mit Mehrwert
AR- und VR-Anwendungen können insbesondere dann einen Mehrwert für die Nutzenden bieten, wenn sie Objekte, Orte, Epochen und Zusammenhänge erlebbar/sichtbar machen, die
- nicht mehr real existieren: In diesen Bereich fallen insbesondere historische Themen. Mit der VR-Anwendung ZwingliVR kann der Nutzer z.B. in die Welt der Reformation eintauchen.
- noch nicht real existieren: VR und AR finden in der Architektur- und Bauplanung bereits rege Verwendung. Beispiele sind der Einsatz von VR bei der Planung und Entwicklung des Bahnhofs Bern 2025. Auf den privaten Bereich fokussiert die AR-App IKEA Place, mit der sich die eigene Wohnung mit IKEA-Möbeln einrichten lässt.
- real nicht oder nur schwierig zu erfahren sind: So konnten Besucherinnen und Besucher der Alten Nationalgalerie der Staatlichen Museen zu Berlin letztes Jahr anhand des Gemäldes „Der Mönch am Meer“ von Caspar David Friedrich in die Rolle des Mönchs schlüpfen sowie gleichzeitig Malprozess und Entstehungsgeschichte des Werks interaktiv nachvollziehen. Auch in der Produktion oder der Medizin werden AR und VR bereits eingesetzt.
Insbesondere bei AR- und je nach Setting auch bei VR-Applikationen entsteht durch die Verschmelzung von virtuellem und physischen Raum ausserdem ein höherer Immersionsgrad, d.h., Nutzerinnen und Nutzer erleben die virtuelle Welt noch intensiver. Dies wiederum resultiert in einem nachhaltigeren Nutzererlebnis.
Einsatz von AR und VR an der ETH-Bibliothek – Rückblick auf Scientifica & Denkmaltage 2019
Insekten mit Augmented Reality zum Leben erwecken
Im Rahmen der letztjährigen Scientifica konzipierte die ETH-Bibliothek in Zusammenarbeit mit dem Game Technology Center (GTC) der ETH Zürich und der Entomologischen Sammlung der ETH Zürich eine AR-Anwendung, bei der Besucherinnen und Besucher ihre ausgemalten Schmetterlinge und Käfer mittels Tablet oder Smartphone zum Leben erwecken konnten.
Dazu ergänzte das GTC, das u.a. an Anwendungen forscht, die Kindern und Jugendlichen Technik/Informatik auf spielerische Art und Weise näherbringen, seine bestehende Showcase-App sowie das dazugehörige AR-Malbuch um einen Tagfalter und einen Nashornkäfer. Zur Erstellung von Malvorlagen und Animationen beobachtete das GTC dabei erstmals lebendige Tiere (à Nashornkäfer) und erweiterte die App ausserdem um Algorithmen zur situativen Formerkennung (à Schmetterlingsflügel, siehe auch Video).
Eintauchen in die historische Chemie an der ETH Zürich
Im Rahmen der Europäischen Tage des Denkmals entwickelte die ETH-Bibliothek in Zusammenarbeit mit der Professur für Bauforschung und Konstruktionsgeschichte der ETH Zürich sowie den Firmen ikonaut & Ludic eine virtuelle Tour durch die historische Chemie der ETH Zürich.
Anhand von 360°-Panoramen konnten die Besucherinnen und Besucher das historische Chemielaboratorium um 1900 mittels VR-Headsets erkunden. Die Durchführung erfolgte im heute als Lernraum genutzten, ehemaligen Chemielabor im denkmalgeschützten CAB-Gebäude der ETH Zürich.
Für die Rekonstruktion des Raums und die Erstellung der Panoramen fanden Bilder, Pläne, Objekte und Bücher aus den Sammlungen und Archiven der ETH Zürich und der ETH-Bibliothek Verwendung. Ergänzt wurden die 360°-Bilder mit Audiokommentaren rund um die Geschichte der Chemie an der ETH Zürich sowie zusätzlichen Infopunkten mit Archiv-, Bibliotheks- und Sammlungsbeständen.
Erkenntnisse und Erfahrungen aus Scientifica & Denkmaltagen
- Kundenperspektive – Verschmelzung physisch/digital & historische Einblicke
Die AR-App des GTC faszinierte Gross und Klein aufgrund der innovativen Verschmelzung von physischer Malvorlage und digitalem Objekt.
Die 360°-Tour ermöglichte zum einen neue Einblicke in eine vergangene Epoche. Ein zusätzlicher Mehrwert ergab sich aus der Tatsache, dass die Besucherinnen und Besucher die virtuelle Rekonstruktion von damals im physischen Raum von heute erleben konnten.
- Bibliotheksperspektive – Outreach
Augmented und Virtual Reality schaffen neuartige Zugänge zu Bibliotheks-, Archiv- und Sammlungsbestände bzw. führen die Bestände neuen Nutzungs- und Forschungskontexten zu. Bei sinnvollem Einsatz der Technologien haben entsprechende Anwendungen deshalb das Potenzial, ein breiteres Kundensegment für die Bestände zu begeistern und zu sensibilisieren.
- VR-Headsets – Experiment mit Potenzial
VR-Headsets entwickeln sind in punkto Benutzerfreundlichkeit, Leistungsstärke und Grafik ständig weiter. Allerdings sind die Brillen in der Handhabung nach wie vor nicht so intuitiv wie Smartphones und Tablets. So mussten die Besucherinnen und Besucher im Rahmen der Denkmaltage auch entsprechend angeleitet und betreut werden.
- Technische Entwicklung – externe Expertise
Für die Programmierung/Entwicklung entsprechender Anwendungen ist spezifisches Fachwissen notwendig, welches an der ETH-Bibliothek aktuell (noch) nicht vorhanden ist. Die Zusammenarbeit mit externen Partner war deshalb für beide Vorhaben essentiell.
Wie weiter?
Habt ihr Ideen für AR- und VR-Anwendungen für die ETH-Bibliothek? Dann wendet euch an die Sektion IMC. Claudia Lienhard (Innovation & Networking, INN) und Simone Leitner (Community & Content Marketing, CCM) geben ihre im Rahmen der beiden Vorhaben gesammelten Erfahrungen gerne weiter und können auch Kontakte für die Erstellung konkreter Anwendungen vermitteln.
Des Weiteren stehen die vier für die Europäischen Tage des Denkmals beschafften VR-Headsets allen Mitarbeitenden für arbeitsbezogene Zwecke zur Verfügung. Es handelt sich um mobile Standalone-Headsets des Typs Oculus Quest, die ohne zusätzliches Smartphone bzw. zusätzlichen PC funktionieren. Claudia Lienhard und Simone Leitner geben gerne Auskunft zur Handhabung der Geräte. Die Ausleihe der Geräte sowie die Unterstützung bei darauf bezogenen IT-Fragen allgemein liegen bei unserem IC-Support.